Septemberschnee
Von Annette Vieli, September 2012
Von Annette Vieli, September 2012
Es soll schneien. Bis 1300, hat der Wetterbericht gemeldet.
So ist das in den Bergen im September. Oder eigentlich immer. Wir leben nahe am
Schnee. Oder auch immer weiter weg. Wie man es nimmt. Der Gletscher ist immer
weiter hinten. Im Tal. Daran sind wir vielleicht selber schuld. Aber nicht
daran, dass es schneit. 1300 ist besser als 1000. Das ist so. Man darf nicht
Jammern. Dem Wetter ist es eh wurscht, wenn wir Jammern. Es tut was es muss und
egal was, jemand klagt immer übers Wetter. Dann muss man die wahren Probleme
nicht beim Namen nennen.
Wir treiben die Tiere auf der Alp schon Vormittags weiter
runter , dann schneit es nicht so fest. Lässt man sie ganz oben und betet, dass
das Wetter einen nicht findet, kommts meistens schlimmer. Sie wollen nicht so
gerne runter, zum Finsterbach. Der Weg ist steinig. Wie das halt manchmal so
ist, auch im Leben einer Kuh. Doch geben sie dem Druck der Treiber nach. Die
Tiere kennen ihre Menschen genau. Sie wissen, dass wir auch nicht so gerne
nachgeben.
Mein Mann geht vor und ruft, jetzt kommt die Herde ins
fliessen. Chum chum
chööömed….Wie eine braunschwarzrotgelbweisse Schlange folgen
sie eins um eins dem schmalen Pfad, geschmeidig passt sich die Schlange den
Unebenheiten des Geländes an. Am liebsten paarweise, Kuh mit Kalb, sonst gibt’s
Stau, wenn eine Mami ihr Kind verliert. Ich flankiere, Toni ist hinten. Er hat
die Obersten geholt, ist plötzlich aus dem Nebel aufgetaucht. Wir müssen nicht
reden.
Natürlich treffen die
Letzten die offene Lücke im Zaun mal wieder nicht. Toni und ich flicken ihn.
Toni hat zwei Zangen. Wir mögen den Strom nicht. Bernhard, mein Mann ist da
nicht zimperlich. Er ist schon weiter unten, deutet in die Rinne unter mir. Ein
paar Tiere haben abgekürzt und stehen zuvorderst auf einem Felsband. Nicht
gerade ein Grund zur Panik, denn Rinder sind nicht dumm, aber manchmal schubsen
sie sich. Unabsichtlich. Ich springe runter und leite um. Wie bei den
Verkehrskadetten.
Jetzt ist da noch die Kuh, die hinkt. Ihr Kalb hat sie
dabei. Kurz entschlossen treiben wir die zwei in Richtung Hütte. Sie hat den
Anschluss an die Herde verloren, die Gelegenheit ist günstig. So jagen die
Raubtiere; von der Herde abtrennen und zuschlagen. Wir wollen sie ja nicht
essen, also nicht grad jetzt, aber sie bekommt trotzdem Angst. Es nutzt nichts,
wir sind zu dritt, sie muss zum Stafel, dort kann man ihr Bein behandeln. Die
Bise schmettert uns mit aller Kraft den eisig feuchten Schneeregen entgegen.
Trotz funktioneller Bekleidung fühlt es sich kalt und nass an. Ob Lodenmantel,
Friesennerz oder Gore-Tex, eins bleibt aller Hirtengenerationen Gemeinsamkeit,
scheussliches Wetter ist immer ungemütlich. Ich finde nicht, dass alles besser
wird oder war. Arschkalt ist kalt. Früher und heute. Früher hat man vielleicht
nicht gejammert. Ich jammere aber auch nicht. Wir leben ja auch nicht, um es
immer gemütlich zu haben, sonst wüssten wir ja gar nicht, was das ist.
Toni und Bernhard haben die schwarzen Teufel gesichtet. So
nenne ich die Anguskühe, obwohl es nicht stimmt, das ist nur ein blöder Spruch,
sie sind nur manchmal etwas “grindig“, aber das macht ja nichts. Bin ich
vermutlich auch. Ich bin vielleicht auch teuflisch. Sie waren noch auf einer
anderen Weide, müssen jetzt auch wieder mit der Herde fusionieren. Sie treiben
sie unten hinter. Ich versuche mit Frau Hinkebein oben vor zu schleichen, dass
sie nicht gleich wieder nach Herdenanschluss trachtet.
Es wird immer
stürmischer und kälter, kein Baum und kein Hügel stellen sich hier dem
peitschenden Wind entgegen. Ich darf es kaum sagen, aber ich liebe es. Dann
sind die Berge entvölkert. Nur für Hirten Herden, Wild und Jäger da. Ausserdem
trotze ich gerne. Dem Wetter. Sonst vergeht einem das Trotzen mit den Jahren,
andere behaupten, man werde schlauer- ich weiss nicht. Das Schlausein hab ich
eh schon aufgegeben. Ist nicht so mein Ding. Ich trotze nicht ungern. Man muss
viel zu oft nachgeben. Danach ist man verärgert. Jeder wäre gerne ein bisschen
Guevara. So verfolge ich die Guerilla Taktik gegen den Sturm.
Die Männer kommen zurück, Hinkebein war brav, sie nehmen sie
nun mit. Ich gehe noch mal hoch, ins Täli, dorthin haben wir zwei Kühe, die
bald kalben und eine mit frischem Kalb vormittags von der Herde abgesondert.
Nun werde ich sie zur Hütte treiben, damit sie in den Stall können. Jede ist
woanders. Die mit dem kleinen Kalb will sich verstecken und geht ganz hoch,
die, die zuerst kalben soll, will alleine sein und geht ganz hinter ins Täli,
ein Zeichen, dass es bald soweit ist, und die Dritte will zurück zur Herde und
quert den langen Hang in die entgegengesetzte Richtung. Sie lassen mich rennen.
4:1 ist unfair. Meine Oberschenkel werden schwach, ich drücke mit einer Hand
drauf ab, stosse mich mit der andern mit dem Stecken ab. Dass 700 kg schwere
Tiere so schnell gerade hoch rennen können wird mich lebenslänglich erstaunen.
Aber sie trainieren ja den ganzen Sommer. Ich gebe nicht auf. Du oder ich, nur
nicht fluchen, sonst läuft sie noch schneller. Jetzt halb über ihr darf ich fluchen
huerebabe sie nimmts nicht persönlich.
Jetzt geht’s wieder gerade abwärts. Im Zickzack und in unschmeichelhaftem
Monolog nähern wir uns dem Stafel.
Mein Mann hat die hinkende Kuh im Stall im Klauenstand schon
behandelt. Durch einen kleinen Riss war Schmutz in den Klauen eingedrungen und
hatte eine Entzündung produziert.
Jetzt gibt’s noch Heu für die Tiere und Tee für die Hirten.
Toni ist schon lange pensioniert, aber fit wie ein Junger.
Als Junge war er Hirt auf dieser Alp und anderen. Jetzt macht er Aushilfshirt,
wenn unser eigentlicher Hirt wieder seiner Arbeit als Lehrer nachgeht. Toni
kennt jeden Stein und schaut gut zu den Tieren.
Seine Frau hat für ihn gekocht. In der warmen Stube erzählt
er, wie schön es war, als Bub im alten Zervreila für die Grosseltern Vieh zu
hüten. Man sei nie alleine gewesen, da waren viele andere Kinder, die auch
hüten und helfen mussten und manchmal vergass man das Hüten und spielte
zusammen. In jedem Haus seien Frauen gewesen, die gekocht und eingefeuert
hatten, wenn man abends müde heimkam und einem die nassen Kleider trockneten.
Das sei die schönste Zeit des Lebens gewesen. Eigentlich möge er die Staumauer
und den See, die das Dorf seiner Kindheitserinnerungen begraben haben, nicht
anschauen.
Das beeindruckt mich. Ich liebe Geschichten von früheren
Zeiten. Wir müssen heim, ins Dorf. Unsere Kinder haben Mittags alleine
gegessen. Ich habe morgens um halb sechs schon Braten und Spätzli gemacht und
im Ofen auf Mittags programmiert. Eigentlich bin ich zu faul für so Sachen,
aber mache es halt einfach. Manchmal.
Da war in jedem Haus eine Frau….hat Toni gesagt. Das geht
mir nicht aus dem Kopf. Früher war das Leben also nicht nur hart in unseren
Bergtälern, man erinnert sich an schöne Dinge.
Ja, das wäre jetzt
toll, wenn in unserem Haus auch eine Frau wäre, die den ganzen Haushalt
erledigt hat, wenn ich heimkomme. Ich habe gern einen ordentlichen Haushalt,
aber ich liebe die Arbeit mit den Tieren. Wenn ich nicht draussen bin, bin ich
irgendwie im Käfig.
Es ist schon dunkel. Das Abendessen auf dem Tisch. Der Hirt
ruft an, das Kalb ist da. Die Hirten sind angewiesen, nichts mit frisch gekalbten Kühen zu machen, auf
einer Alp im Nachbartal ist deswegen einmal ein Hirt verunfallt. Rein in die
Bergschuhe raus aus der Bude. Mann bei Ziegen. Auto auch. Rein in die warme
Jacke, ab auf den Töff. Batterie fast alle, sch…Ich weiss nicht warum ich den
Kindern das Fluchen verbiete, wo es doch sozusagen mein Hobby ist? Die Anrollversuche sind erfolgreich, das
Losfahren irgendwie nicht. Typisch Frau? Auto kommt zurück. Mann auch. Also los.
Runter ins Dorf, hinter nach Zervreila, hoch auf die Alp. Laufen, laufen. Im
Dunkeln bin ich ganz schnell und sehe gut. Das Kälbchen aus den verschneiten
Blachten heben, rüber in den Stall, Mami kommt hinterher. Toni ist erleichtert,
dass das Päärchen nun im Trockenen ist. Bernhard holt Heu. Es ist wie im Stall
zu Betlehem. Das Wunderkind soll Anja heissen, draussen ists dunkel und
verschneit, das Heu duftet in der Krippe. Ich bin zufrieden müde.